Das „menschliche Maß“ Leopold Kohrs bleibt die Quintessenz der Aktivitäten

Unser ökologischer Fußabdruck ist viel zu groß! Das wissen wir alle und finden doch nicht zurück, zum rechten Maß. Wie dringend dies wäre, unterstreicht einmal mehr das neue TAURISKA-Programm.  

Wozu Langlebigkeit, wenn das nächste Smartphone schon auf dem Markt ist! Und doch gibt es immer mehr Menschen, die sich ausklinken wollen aus dieser Wachstumsspirale, die Arm und Reich extrem spaltet und fatale ökologische Folgen hat. Stets davor gewarnt hatte der aus Salzburg stammende Philosoph und Kosmopolit Leopold Kohr (1909-1994). „Seine Forderung, dass Lebensverhältnisse dem menschlichen Maß entsprechen sollten, ist heute dringlicher denn je“, sagen Susanna Vötter-Dankl und Christian Vötter, Geschäftsführer der Leopold Kohr-Akademie und des Vereins TAURISKA in Neukirchen/Gr.Ven. Nach dem Vorbild Kohrs gestalten sie auch ihr Programm 2024: mit Menschen, die ihre Region mit Talent und Gemeinschaftsgeist stärken, aber auch mit lokalen Köstlichkeiten und nachhaltiger Wirtschaft punkten; oder mit Schätzen aus der Vergangenheit, die mitunter so gar nicht in unsere rasante Zeit passen. Die bewegliche Figurenwelt des „Steinberg-Thoma“ (1909-1997) etwa ist ein berührendes Zeugnis naiver Volkskunst – gebaut von einem Knecht, mit Holz, Drahtgestängen und Lederriemen. Mehrere „Kohr-Café repairs“ widmen sich der Restaurierung seiner Figuren. Die spielen das Leben, wie es früher war. Echte Menschen wiederum spielen zu Thoma’s Ehren ihr eigenes Leben als Theaterstück. Unter der Moderation von Maximilian Steiner können sie am 5. April, 19 Uhr, im Kammerlanderstall in Neukirchen am Gr.Ven. einbringen, wonach sie Lust und Laune haben. Dazwischen gibt es Musik und Kulinarisches.

Hartes Dienstbotenleben – auch den „Steinberg Thoma“ betraf es
Im Mai wird Steinberg Thoma‘s Figurenspiel dann im Kammerlanderstall in einer Schau wiederaufgefrischt präsentiert. Dies gemeinsam mit moderner Kunst, die Peter Fritzenwallner auf die Arbeiten (Projekt SIMULTAN des Landes Salzburg) von Thoma abgestimmt hat. Dessen Lebensstationen zeigt die Malerin Katharina Zlöbl in Acryl. Zur Vernissage entführt der Theatermacher Charly Rabanser in das harte Leben jener Zeit, indem er Passagen aus Franz Innerhofers „Schöne Tage“ liest.

Den „Dienstboten einst und jetzt“ ist auch das „Akademische Wirtshaus“ am 17. Oktober im Haus der Volkskulturen in Salzburg gewidmet. Dafür hat sich Silvia Bengesser-Scharinger vom Literaturarchiv Salzburg Werke von Georg Eberl vorgenommen und Rabanser abermals die Schriften Innerhofers. Auch kommt eine zu Wort, die drei Jahrzehnte intensiv zu Landarbeitern im ganzen Bundesland recherchiert hat: Monika Brunner-Gaurek, Regionalmuseumsreferentin des Landes. 

Die „Pinzgauer Esskultur anno dazumal“ beschäftigt ein „Kohr-Café“, welches im Samplhaus in Bramberg stattfindet. In dieser Gemeinde öffnet Carina Gandler ihre „Carany-Aromapraxis“ mit Verkaufsladen für ein weiteres „Kohr-Café“. Hier kann man lernen, sich selbst bewusster zu erfahren und viel neue Kraft und Lebensfreude zu schöpfen.

Frauen im Himalaya und in den Alpen – bevor der Tourismus einsetzte
Ein Duo hat Frauen in eindrucksvoller Weise bei der Arbeit in früheren Zeiten festgehalten: die Fotografin und Volkskundlerin Erika Hubatschek in den Alpen, Tochter Irmtraud später im Himalaya. Da springen in der bildlichen Gegenüberstellung Parallelen förmlich ins Auge – jedoch zeitversetzt: Mutter Erika hat hierzulande zwischen 1939 und 1959 fotografiert; Tochter Irmtraud im indischen Himalaya-Gebiet, in Nepal und Tibet zwischen 1984 und 2016. Und doch ähneln sich die Sujets. Denn während die großen baulichen und technischen Veränderungen bei uns um die Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzten, geschah dies im Himalayagebiet erst viel später. Viele der Bilder von Erika Hubatschek (1917-2010) entstanden auch im Zweiten Weltkrieg, in dem – das muss man anmerken – die Fotografin eine durchaus opportunistische Haltung zum NS-Regime hatte. Ihre Tochter Irmtraud (*1960) wurde zur Fotografin, Ausstellungs-Kuratorin, Filmemacherin und Buchautorin. Studiert hat sie Musik, unter anderem bei Nikolaus Harnoncourt. Sie lebte 25 Jahre auf Korsika und gründete dort auch ihr eigenes Ensemble mit dem Namen „Orfeo Isulanu“. Die Ausstellung ist ab 14. Juni bis Ende Oktober 2024 im Kammerlanderstall in Neukirchen zu sehen.

Das 6. Literaturfestival mit Vergabe des 1. Stipendiums
Vielversprechend ist nicht nur dieses zweiwöchige Aufenthalts-Stipendium für einen Autor bzw. einer Autorin mit Salzburg-Bezug. Vielversprechend ist auch wieder das Programm, das Intendant und Autor Florian Gantner abermals sorgsam ausgewählt hat. Da liest etwa Margit Mössmer über „Das Geheimnis meines Erfolgs“ aus der Sicht eines autistischen Kindes. Der Rauriser Literaturpreisträger von 2023, Marcus Fischer, taucht mit seinem Roman „Die Rotte“ tief ein in ländliche Verstrickungen. Ljuba Arnautović reflektiert über ihre Familiengeschichte zwischen Wien und russischem Straflager. Clemens Marschall entführt die Zuhörerschaft ins abseitige Wiener Milieu. Daniel Wisser, angeblich eine der spannendsten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur, liest aus seinem aktuellen Buch „0 1 2“ und der präzise Alltagsbeobachter Peter Hodina aus „Spalier der Farne“. Schauplätze sind der Kammerlanderstall, der Wildkogel sowie lokale Gaststätten und Hotels. 

Die Mundart kommt auch 2024 nicht zu kurz. So gibt es bereits die 35. Niedernsiller Stund-Lesung im Oktober im Samerstall sowie die Adventlesung „Schreib’s auf“ im Dezember im Kammerlanderstall. „Wos sogga“ fragt wiederum das „Freie Radio Pinzgau“, welches mit seinem Initiator Georg Wimmer am 6. September um 10 Uhr ein „Kohr-Café“ gestaltet.

Veranstaltungen wider grenzenlosen Wachstums
Wer sind eigentlich die Träumer: Jene, die an ein „Wachstum um jeden Preis“ festhalten oder jene, die eindringlich warnen vor dem zerstörerischen Raubbau an Natur und Mensch? Der Philosoph Leopold Kohr war zeitlebens ein großer Warner. Im Kohr-Archiv im Haus der Gesellschaftswissenschaften in Salzburg wird deshalb auch am 4. Juni zwischen 10 und 12 Uhr dieses Thema abgehandelt; werden Möglichkeiten ausgelotet, die Welt vor einem Kollaps zu bewahren. Bildungsarbeit für eine Genügsamere Lebens- und Wirtschaftsweisen wären dazu unabdingbar. Wie ein einfacheres Leben vom einzelnen wieder gelernt werden kann, das setzt viele außerschulische wie auch schulische Lernorte voraus und dazu gibt die 7. Leopold Kohr Summerschool in Salzburg im September Einblicke. Der Ökonom und Wachstumskritiker Niko Paech greift dabei auf analoge Fähigkeiten zurück, die in früheren Zeiten unabdingbar waren – das Handwerk, die Eigenversorgung mit Gütern, das Talent zum Reparieren etwa. Paech lässt diese Fertigkeiten mit eindrücklichen Beispielen wieder aufleben und zeigt, wie auch heute damit Wertschöpfung, Nachhaltigkeit, Jobs und Einkommen damit verknüpft werden können. Paech ist ebenso ein Verfechter für eine dezentrale, nachhaltige, gesunde und lokale Wirtschaft wie die schwedische Umweltaktivistin Helena Norberg-Hodge. Deren Buch „Lokal ist unsere Zukunft. Schritte zu einer Ökonomie des Glücks“ wird bei einem Online-Kultur-Dialog vorgestellt.

Es geht auch wieder ums Feiern, Erinnern – und den Wert des Humors
Der Philosoph Kohr hat nicht nur eindrückliche Thesen formuliert, er hatte auch viel Humor. Das weiß besonders der frühere Kulturmanager des Landes, Alfred Winter. Dieser wird in einem „Akademischen Wirtshaus“ über Kohrs Affinität zu Wilhelm Busch erzählen. Kohr hatte sich, soviel wird schon verraten, gerne mit Max und Moritz verglichen, weil er als Bub selber viele Streiche ausheckte. Auf die Spuren von Wilhelm Buschs Leben und Wirken wird sich Eva Jandl-Jörg, Leiterin des W. Busch-Museums in Hannover, begeben. 

Weitere TAURISKA-Programmpunkte sind der bereits traditionelle „Pinzgauer Volksmusik-Lehrgang“; ein Vortrag zum Thema „Ängste und Sicherheit im seelischen Innenleben – der Sinn des Alterns“; die Vorstellung eines Kunstbuches zu den Arbeiten des Künstlers Volker Lauth. Außerdem wird die Salzburger Filmerin Gabriele Hochleitner ihre Familien-Trilogie „TROG“ zeigen, in der eine Reise über drei Generationen durch die Zimmer eines alten Hauses führt. Dann ist TAURISKA als Kooperationspartner auch beim diesjährigen „Internationalen Festival für textiles Handwerk, textile Kunst und Design“ von 15. bis 17. März auf Schloss Maretsch in Bozen mit einem Projekt präsent. Erstmals wurde dort im Jänner der erste „European Textile & Craft Award“ vergeben.

Und auch sie gibt es wieder: die Theaterwanderung ins Krimmler Achental, die heuer bereits zum neunten Mal den jüdischen Flüchtlingen gedenkt. Diese wurden unter harten Strapazen 1947 über den Krimmler Tauern gebracht, was das „teatro caprile“ wieder in dramatischer Weise nachspielt. Ebenso das „Komponisten Forum“ – kofomi#28/2024 SORGE, das Wolfgang Seierl anführt findet im September in Mittersill statt

Weitere Fixpunkte: mit Ausstellungen und einer Reflexion über den Fremdenverkehr
„Die Geschichte des Tourismus in Österreich“ ist das Thema, das in einem „Akademischen Wirtshaus“ beleuchtet wird. Wie sehr haben Traditionen darunter gelitten, wird man da beispielsweise fragen. Dass Brauchtum nicht vergessen wird, dafür sorgt übrigens Lukas Schmiderer in Zell am See. Sein „Kabinett im Schmidererhaus“ ist ein kleines Zeitfenster in die Vergangenheit. Dorthin, sowie zum Museum Vogtturm, wird er in einem „Kohr-Café“ Besucher:innen führen. Weiters kehrt man ein in sein traditionsreiches Feinkostgeschäft, das eine große Auswahl an Spezialitäten der Pinzgauer Genussregion bietet. In sein malerisches Universum wiederum entführt Volker Lauth aus Uttendorf das Publikum und bis Ende Februar ist seine Ausstellung im Kammerlanderstall zu sehen. Seine Technik des „Abklatschens“ erklärt der frühere Lehrer anhand seines neuen Kunstkalenders. Ab November ist dann Wilhelm Kastberger aus Zell am See als Aussteller am Zug. Seit Jahrzehnten widmet er sich malerisch den Themen Menschenrechte, Emigration, Migration und Integration. Neben Bildern aus Acryl und Öl stellt der pensionierte Gendarmeriebeamte auch Reliefs und Plastiken aus Metall und Stein her.

Text: Christine Schweinöster

Literatur findet Land 2024

Mit Florian Gantner (Künstlerischer Leiter) hat man ein perfektes Bindeglied an Land gezogen: aufgewachsen in Neukirchen, lebt er als erfolgreicher Autor in Wien.

Einführung: Magdalena Stieb (Leselampe Salzburg).

Autor*innen 24: Leonora Leitl, Margit Mössmer, Helene Ziegler und Katharina Wenty (Poetry Slam), Marcus Fischer, Ljuba Arnautovic, Peter Hodina, Daniel Wisser, Gabor Fónyad, David Hoffmann und Zoltán Lesi, Clemens Marschall und Gewinner*in des ersten Aufenthaltsstipendiums.